Die zwei Leben des Sebastian - Diametrale Erzählungen Jürgen Heimlich
Mit dem Eintritt in die Schule beginnt das Mirakel: Der Mensch wird in eine bestimmte Richtung gedrängt, und es wird ihm nahe gelegt, sich konform zu verhalten. Das Sprüchlein: "Wir lernen nicht für die Schule, sondern fürs Leben" steht bald auf der Tafel im Klassenzimmer, wobei sich kein Schüler irgendetwas darunter vorstellen kann. Das Leben nämlich spielt sich außerhalb der Schule ab: Weshalb sollten die Schüler also ausgerechnet in der Schule fürs Leben lernen?
Es gilt hinkünftig für den Schüler, sich in ein halbwegs brauchbares Mitglied der Gesellschaft zu verwandeln. Noch weiß der junge Mensch nicht definitiv, das es ein "Ziel" darstellen mag, sich mit irgendeiner Arbeit zu "identifizieren" oder aber für Nachwuchs zu sorgen, da nur dadurch die Zukunft der menschlichen Gesellschaft dauerhaft gewährleistet ist. Älter geworden prasseln auf den Berufsanfänger allerlei "Regeln" ein, an die er sich zu halten hat. Bricht er eine dieser Regeln, wird er es sowohl in der "Arbeitsgesellschaft" als auch im eigentlichen Leben schwer haben.
Die beiden Erzählungen des Autors beleuchten aus selbstreflexiver und biographischer Sicht die Geschichte eines Menschen von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter, der nur schwer in irgendein "Schema" zu pressen ist. Irgendwie mag der Protagonist nicht in diese "Welt" passen. Ein Nonkonformist, ein Rebell, ein Schreibwütiger, eine Leseratte, ein Fantast, ein Visionär, ein Zwangsneurotiker, ein Gesellschafts- und Konsumkritiker, ein Schnelldenker, ein Träumer, ein Liebesheld, ein Therapieerfahrener, kurzum ein unangepaßtes Mitglied der Gesellschaft, das weder dem Leistungsprinzip noch dem Kapitalismus allzuviel abgewinnen kann.
Wären die meisten Menschen wie Sebastian veranlagt, dann käme es wohl zu einem Zusammenbruch des Turbokapitalismus, da weder der Arbeitsgesellschaft noch dem künstlich aufgeblasenen Wirtschaftswachstum ein "fruchtbarer" Boden bereitet wäre. Die meisten Menschen sind aber angepasst, und stellen ihr eigenes Dasein inmitten einer merkwürdig von wenigen Profiteuren gesteuerten Gesellschaft nicht in Frage. Dafür wird alles in Frage gestellt, das nicht in das Schema der "Normalität", sprich gut koordinierter Konformität, hineinpasst.
Nicht nur Sebastian ist ein Außenseiter, weil er die Auswüchse einer fehlgesteuerten (Arbeits)gesellschaft kritisiert und dagegen hält; Außenseiter und nichtkonforme Gesellschaftsmitglieder gibt es viele (von denen allerdings in diesen Erzählungen nicht die Rede ist, das wäre Material für ein eigenes Buch): geistig und/oder körperlich Behinderte, Flüchtlinge, Asylanten, Arbeitslose, Obdachlose, spezifisch Begabte und/oder unentdeckte Genies usw.
Das Leben des Sebastian wird also von zwei Seiten aus beleuchtet: Von ihm selbst reflexiv, und von einem Biographen. Die Eigenheiten des Protagonisten kommen dadurch auf differente Weise zur Geltung. Der Autor hat es vermocht, auf kurzweilige und die Gedanken des Lesers anregende Weise das Leben eines Menschen abzubilden, der nirgends dazu zu gehören scheint, und doch einen besonders wichtigen Platz in dieser Welt einnimmt: Denn ohne Systemkritiker wäre echter gesellschaftlicher Fortschritt abseits von politischer Lügenpropaganda und Vereinfachung der Realität nicht vorstellbar.
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Jürgen Heimlich: „Die zwei Leben des Sebastian - Diametrale Erzählungen“
Engelsdorfer Verlag (April 2006)
Taschenbuch / Sprache Deutsch
ISBN: 393940439X
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