Grüner Baum in Flammen Zwei Literaturnobelpreisträger der 90-er und ihre neuen
Bücher
Mit seinem jüngsten Werk „Die portugiesische Reise" geht es
José Saramago sicherlich nicht darum, neuen literarischen
Ruhm zu erlangen, sondern vielmehr um die Vorstellung seines
Landes Portugal, das Land, das sich einem fernab des
gewöhnlichen Tourismus erschließt, indem man Fragen stellt,
die keine Antworten haben oder haben sollen, indem man nach
Deutungen und Bedeutungen sucht. Der
Literaturnobelpreisträger des Jahres 1998 ist eigentlich kein
Reiseschriftsteller. In seinen Romanen wehrt er sich stets gegen
den im Großen unaufhaltsamen Fortschritt, der zu Lasten der
Menschlichkeit geht. Er greift die Melancholie auf und
beschreibt sie auf unvergleichliche Weise. Umso größere
Anerkennung verdient daher seine Fähigkeit, in „Die
portugiesische Reise" das Traurige abzuschütteln und den
Zustand einer tatsächlichen wunderbaren Reise herbeizuführen,
auf der wir vor allem auch einen überaus menschlichen Autor
kennen lernen, der sein Portugal liebt wie den Ort, an dem sich
„die Welt verabschiedet", am Cabo de São Vicente, der Details
sieht in der riesigen Kirche von Carrazedo de Montenegro, der
Fantasie hat, wenn er mit den Fischen im Rio Douro spricht,
der am anderen Ufer den Namen Rio Duero trägt, den die
Harmonie der kleinen Kirche São Frutuosa de Montélinos
begeistert und der sich wundert, wie der Sklavenmarkt, der
einst auf der heutigen Praça da República grauenvolle
Wirklichkeit gewesen war, in Vergessenheit geraten konnte.
Der Japaner Kenzaburo Oé, den die königlich schwedische
Akademie 1993 in den Literatenhimmel erhoben hat, hat mit
dem Roman „Der atemlose Stern" seine Trilogie „Grüner
Baum in Flammen" nun auch in deutscher Sprache
abgeschlossen.
Die zur Rede stehende Trilogie machten schon allein die ersten
beiden Bände, „Grüner Baum in Flammen" (deutsch, 2000)
und „Der schwarze Ast" (deutsch, 2002), zu einem großartigen
und wichtigen Werk; wichtig, weil es (zumindest in deutscher
Sprache) kaum Romanzyklen gibt, die die 1945 begonnene
systematische Verwestlichung Japans in dieser einzigartigen
Verbindung moderner und traditioneller Lebensformen zum
Inhalt haben; großartig aufgrund ihrer raffinierten Erzählweise,
die zwitterhaft ist und sich dabei vom eher Maskulinen zum
eher Femininen wandelt, genau wie es der Entwicklung des
erzählenden Hermaphroditen entspricht; großartig aufgrund der
besonderen Darstellung von Individualität, die im Kollektiven
verwoben ist; großartig aufgrund des Aufspürens meist in
Gegensätzen verwurzelter explosiver Elemente, die sich
beispielsweise in der Gemeinschaft um den Bruder Gii
ergeben; und nicht zuletzt großartig aufgrund der gekonnten
Integration von Randfiguren, beispielsweise des Autors selbst
als Schriftsteller Onkel K..
Den entstandenen Eindruck einer kaum mehr aufrecht zu
erhaltenden Natürlichkeit hat nun der jüngst erschienene
Roman „Der atemlose Stern" regelrecht weggefegt. Der
bisherige Schauplatz, die ländliche Idylle der Insel Shikoku,
wird größtenteils verlassen. Der Leser geht mit der Erzählerin
Satchan nach Tokyo, die dort und in einem Buch über die
Bekenntnisse des Augustinus zur Besinnung kommen will.
Erneut werden die im Kollektiven, das nun in Tokyo ein
Gesicht erhält, versteckten individuellen Ereignisse und
Bedürfnisse ans Licht gezerrt. Aber gerade die bewusste
Hinwendung zu neuen, teilweise völlig umgekehrten Innen-
und Außenwelten setzt sowohl im Leser als auch in der
Erzählerin eine Sinneswahrnehmung frei, die insbesondere den
Charme des letzten Romans der Trilogie „Grüner Baum in
Flammen" ausmachen. Die auch vom Vergleich der Romane
getriebene Entwicklung zeigt es: So ist das Leben, weltweit!
Nichts ist konstruiert! Die Trilogie gewinnt gerade dadurch,
dass diese nicht mehr glaubhafte Diskrepanz zwischen
konfliktreichen Ereignissen und friedlicher natürlicher Kulisse
ersetzt wird durch alltägliche und grundsätzlichere Gegensätze,
die es auch in Berlin, London oder New York geben könnte, an
Natürlichkeit und Größe, wird zu einem außergewöhnlich
echten Lebenslauf.
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