Eines Tages wandelte ich gemächlich durch die Straßen Wiens. Das Wetter war schön. Die Sonne
strahlte vom Himmel, als wenn sie einen Preis damit gewinnen könnte. Es war angenehm warm und
alle Leute, die einem begegneten, schienen gut gelaunt zu sein, genauso wie ich.
Nun, wie dem auch war, es duftete nicht nach Flieder und Langos, sondern nach Pferdemist und
Autoabgasen, weil ich mich nicht im "Wurschtel-Prater" befand, sondern auf dem Stephansplatz. Wo
sonst sollte sich ein Wientourist aufhalten. Ich wollte, nachdem ich dem verfallenden Dom meine
Referenz erwiesen und das in der Sonne glänzende Haas-Haus eingehend besichtigt hatte, weiter
zur Staats-oper, um mich der Hochzeit des Figaros erfreuen zu können. Natürlich hatte ich vor, den
Weg zu Fuß zurückzulegen. Schließlich versucht man verzweifelt, etwas von der Stadt und ihren
besonderen Reizen mitzubekommen. Da fiel mir auf einmal ein, daß ich als Fremder hier gar nicht
wissen konnte, wo sich mein Ziel überhaupt befand und was noch wichtiger war, wie ich dorthin
gelangen sollte.
So drehte ich mich erst einmal um die eigene Achse herum, so daß mir ganz schwindlig wurde, und
versuchte gleichzeitig, mir ein geeignetes Opfer auszusuchen, das mir behilflich sein konnte, indem
es mir möglichst einfach den richtigen Weg beschrieb. Die Lösung des Problems gestaltete sich aber
als gar nicht so leicht. Es tummelten sich so viele Leute hier herum: Amerikaner mit Cowboyhüten,
korrekt angezogene Deutsche und solche, die es noch werden wollten, Japaner, die Fotoapparate
mit Selbstauslöser umge-hängt hatten, aber immer zum Abdrücken bereit waren, Tschechen, Polen,
Slowaken und noch viele mehr. Alle möglichen Nationalitäten konnte man unterscheiden, wenn
man genau hinsah, doch einen Einheimischen, einen urigen Wiener fand ich zuerst nicht. Hätte ich
doch wenigstens einen Stadtplan mitgenommen. Dann wüßte ich zwar nicht, wie ein echter
Einheimischer aussehen mußte, aber wenigstens, wohin ich gehörte, zumindest in der Theorie. Doch
ich verabsäumte es, einen auf meine Wanderschaft mitzunehmen. Er befand sich im Hotel auf dem
braunen Koffer. Dort lag er gut und vergnügte sich mit dem Sonnenhut, der sich gleich daneben
niedergelassen hatte, während ich hier aus allen Poren schwitzend dastand und noch immer nicht
wußte, wohin ich mich wenden sollte.
Da, auf einmal erblickte ich ihn. Wie hypnotisiert, verzaubert, völlig überwältigt, starrte ich
angesichts dieses denkwürdigen Schauspieles meinen Retter in der Not an. Daß ich das noch
erleben durfte. Meine Knie wurden butterweich und das Herz rutschte mir fast in die Hose, ließ es
aber dann doch bleiben, weil dort kein Platz mehr war.
Ein Wiener, ein Einheimischer, meine erste und letzte Hoffnung! Nachdem ich mich wieder etwas
gefaßt hatte - es gehörte sich doch nicht, daß man als Randegger angesichts dieses, ich möchte fast
schon sagen, Wunders, so die Kontrolle über sich verlor - eilte ich mit festen Schritten und meinen
ganzen Mut aufbringend auf ihn zu, versuchte ihn einzuholen, was mir schließlich auch gelang.
Schüchtern - meine Courage war bereits schon fast zur Gänze verbraucht - fragte ich ihn:
"Entschuldigen Sie bitte. Könnten Sie mir untertänigst mitteilen, wie ich am besten zur Staatsoper
gelangen kann?"
Doch er hörte mich nicht. Er ging mit forschen Schritten weiter, als ob nichts geschehen wäre. Nahm
er mich nicht ernst? War ich Luft für ihn? War er taub? Nein, das konnte es alles nicht sein. Ich
vermutete zu guter letzt, daß ich nur zu leise gesprochen hatte und startete den zweiten Versuch
etwas lauter und mutiger: "Entschuldigen Sie bitte. Besteht die Möglichkeit, daß sie mir den Weg
von hier bis zur Staatsoper beschreiben?!"
Wie Aufregend! Er reagierte, und daß, obwohl das Sprichwort lautet, aller guten Dinge sind drei.
"Zur Oper wollen Sie? Ha! Nichts einfacher als das. Da gehen Sie bloß hier die Kärntner Straße
entlang und riskieren ab und zu einen Blick auf die rechte Seite. Nach ein paar hundert Meter
stehen Sie fast direkt vor ihr. Man kann sie gar nicht verfehlen."
Da mischte sich ein Passant ein, der unser Gespräch anscheinend schon seit einiger Zeit belauscht
haben mußte, denn er teilte uns nicht ganz ohne Schadenfreude mit: "Sie schicken den Armen in
eine völlig falsche Richtung. Sie müssen dort die Rotenturmstraße ein kleines Stück entlang
schlendern, dann biegen sie bei der Wollzeile rechts ab, gehen diese bis zum Dr.-Karl-Lueger-Platz
entlang. betreten dann die Ringstraße, folgen also dem Parkring, Schubertstraße, Kärntner Ring. Da
sind Sie dann fast schon am Ziel. Dort, wo der Kärntner Ring und der Opernring aufeinandertreffen,
befindet sich die Staatsoper. Ist doch ganz einfach. Oder?"
Naja, ich hegte bereits leichte Zweifel, ob es wirklich eine so gute Idee war, diese Strecke zu Fuß in
Angriff zu nehmen. Es schien doch ein bißchen weiter zu sein, als ich zuerst angenommen hatte.
Doch schließlich wollte ich etwas von der Stadt sehen.
Da mischte sich schon der nächste Einheimische ein. Wo kamen die denn alle auf einmal her?
"Der arme Mann. Sie schicken ihn ja völlig falsch. Was soll er denn von uns Wienern denken, wenn
er da so sinnlos durch die Stadt irrt. Der richtige Weg lautet völlig anders. Passen Sie auf."
Er richtete starr den Blick auf mich. Ich blickte eiskalt zurück.
"Es ist nicht ganz einfach. Aber sie werden es schon schaffen. Das sehe ich ihnen an. Das habe ich
im Gespür. Gut zu Fuß scheinen Sie auch zu sein, also sicher kein großes Problem für Sie."
Meine Augen flackerten leicht.
"Als erstes gehen Sie dort den Graben entlang. Dann wenden Sie sich nach links und folgen dem
Kohlmarkt. Darauf biegen sie rechts ab und durchschreiten die Herrengasse, die Schottengasse. Die
Währinger Straße bis zum querenden Währinger Gürtel. Dort biegen Sie links ab und gehen
denselben entlang. Später heißt diese Straße dann Hernalser Gürtel, Lerchenfelder Gürtel,
Neubaugürtel, Mariahilfer Gürtel und schließlich Gumpendorfer Gürtel. Dort biegen Sie dann links
in die Linke Wienzeile ab und gehen diese bis zum Getreidemarkt entlang. Sie müssen dann noch
ein kleines Stück die Friedrichstraße und die Operngasse entlang, aber dann haben Sie endlich Ihr
Ziel erreicht. Aber die Strapazen werden sich lohnen. Vertrauen Sie mir."
Sollte ich das? Irritiert wandte ich den Blick ab und starrte auf den Boden. Jetzt glaubte ich,
endgültig verwirrt zu sein und ich war es auch. Oder war das nur Einbildung? Drei Leute, drei
verschiedene Wege, einer länger als der andere. Was sollte ich tun? Wem konnte ich trauen? Oder
hatten vielleicht alle drei recht? Oder gar keiner? Irgendwie hatte ich von der ganzen Geschichte
genug. Mir taten schon vom Gedanken an den weiten Weg die Blasen an den Füßen weh.
Ich beschloß, mich still und heimlich in ein Taxi zu setzen und mich direkt vor meinem Hotel
absetzen zu lassen. Dann würde ich mich aufs Ohr hauen und vom Figaro träumen. Das war
vermutlich einfacher, als die Strecke zur Staatsoper auf Schusters Rappen in Angriff zu nehmen. Er
soll gefälligst wem anderen die Haare schneiden, aber nicht mir.
Eilig und ohne Abschiedsgruß schritt ich davon und stolperte den U-Bahnabgang hinunter. Die drei
Wiener starrten mir verärgert nach. Einen hörte ich noch leise sagen: "Diese blöden Touristen
wissen auch nie, was sie wollen."
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