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Tobias Vees

Über das Gestern, das niemals stattfand

An einer Ecke der Franz-Rudolf-Straße in Wien saß ein Mann allein im Kaffeehaus und trank das letzte Bisschen seines Großen Braunen aus, ehe er sich den Schaum von den Lippen leckte, das Messer des vorherigen Gastes zur Hand nahm und damit seinen Hals aufschlitzte.
Aber das ist uninteressant.
An den Abenden davor hatte das darunter liegende Jazzlokal New York der 20er-Jahre wieder aufleben lassen. Eine spektakuläre Show war von der Bühne gegangen!

Sobald der Vorhang hochgezogen worden war, hatten Damen und Musik den Keller zum Himmel werden lassen – für gewöhnliche Arbeiterbienen im verschwitzten Hemd und Sakko, die selbst den letzten Tropfen in ihrem Glas nicht vergeudeten, nur um länger von Zuhause fortzubleiben, aber auch für die ganz Großen, denen der Laden eigentlich gehörte: Die Sorte von Männer, die mehrere Ringe an den Fingern trugen.

Gelacht hatten sie an jenen Abenden und fleißig in die Hände geschlagen, um den Damen auf der Bühne zu applaudieren, wenn sie den einen oder anderen Blitzer auf ihre Unterwäsche zuließen. Einige der Herren behaupteten sogar, eine darunter ausfindig gemacht zu haben, die gar nichts unter ihrem Rocke trug – aber das waren vermutlich lose Angebereien gewesen, die nach dem Wein und den Millionendeals so manchen Grünen über die Zunge rollten, wenn sie so dachten: Die Welt gehöre ihnen.
Die Resultate las man zwei Tage darauf in der Zeitung.
Doch hatte man denn nichts Spannenderes, worüber man schreiben konnte?, fragen sich wiederum die Arbeiterbienen in hohen Rängen, während sie im Kaffeehaus sitzen und sich den letzten Schaum von den Lippen lecken, um nur wenige Zeit später weiteres schwarzes Wasser zu bestellen, weil der werte Vertreter der anderen Firma im Stau steckte.
Darum also ging man lieber ein Stockwerk tiefer.
Hätte man nur hinausgesehen, anstatt Zeitungen zu falten, die einem lediglich Informationen über die Vergangenheit entgegenspucken – und das zumeist geradewegs ins Auge! – dann hätte man es erblicken können: Die Revolution! Dort auf der Straße – direkt vor dem Kaffee - drei Sekunden, nachdem sich der Mann das Messer in den Hals gerammt hatte, waren sie aufmarschiert:

Die wütende Menge und der zornige Mengerich, johlend und Schilde hochhaltend!
Keine Demonstrationen mehr?, fragt sich verwundert der Zeitungsleser, der seine Pause im Schnellimbiss gegenüber abwartet.
Aber nein! Sieh‘ doch! Sie brechen sogar ins Parlament ein!
Sturm auf die Bastille, denkt sich derselbe Mann und kann über sich nur schmunzeln. Dann schlägt er die nächste Seite auf und löst das Kreuzworträtsel.
Einen Tag darauf sollte er von einem jungen Selbstmörder in einem Kaffee lesen und abermals staunen, was seine Generation denn verbrochen hatte, damit die Jugend von heute so werden musste.
Von der Revolution wurde kaum berichtet.
Wen interessierte das schon? „Mich jedenfalls nicht“, sagte der werte Herr im Jazzkeller und als die Situation zu brenzlig wurde, stieg er in die Maschine und flog auf seine Insel.

Zwei Straßen weiter warf ein Junge, der auf Zahl gesetzt hatte, eine Münze und freute sich über eine halbe Packung Zigaretten. Das Feuerzeug, wie er später bemerkte, war ihm von dem Mädchen, das auf Kopf gesetzt hatte, gestohlen worden.
Die halbe Packung Zigaretten landete daher in der Donau.
Vielleicht verlangte das Tempo der Jugend diese Geste oder vielmehr das Tempo der Stadt - gar der heutigen Zeit?

Auf dem Rückweg jedoch fand der Junge eine Streichholzschachtel, die einer der Arbeiterbienen verloren hatte, nachdem er von einem Kellner aus einem Jazzkeller unter einem Kaffee mit blutender Nase hinausgeworfen worden war. Angeblich hatte er gespottet. Aber das würde nie jemand erfahren.
Denn spotten darf man nicht.

Nicht gestern.

Und schon gar nicht morgen.
Schade, denkt sich der Junge und tauscht die Streichhölzer für eine halbe Packung Zigaretten ein, die man aus der Brusttasche des jungen Selbstmörders aus dem Kaffee entwendet hatte.

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Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von www.smartstorys.at.

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