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Kristin Raphaela Otti

Das Geschenk

Die Schatten griffen mit greisen Fingern nach seinem Gesicht. Hermann schloß die Augen. Die Müdigkeit kroch eisig über seinen gebeugten Rücken und betäubte seinen vor Whiskyschmerz pochenden Kopf. Er fühlte sich miserabel, als hätte er nicht nur die eine Flasche Jack Daniels, sondern auch noch den angestaubten Jim Beam, den er seit seiner Scheidung, die tragischer verlaufen war, als er sich das vorgestellt hatte, nicht mehr angerührt hatte, in einem Zug gekippt. Er hatte damals seinen heißgeliebten Johannes verloren. Dieses schwarze, aerodynamische Ding, auf das jeder Bekannte und Verwandte so neidisch gewesen war, daß der Neid in heißen Tropfen zu Boden geflossen war und dem azurblauen Teppich im Wohnzimmer eine mausgraue Farbe verliehen hatte. Es war gekommen, wie es hatte kommen müssen. Schlußendlich war ihm sein Liebling abhanden gekommen. Nie wieder würde er den ohrenbetäubenden Singsang seines treuesten Gefährten, den er nach Erhalt des ersten Schecks für seinen Erstlingsroman erworben hatte, vernehmen. Er war gegangen. Für immer verschwunden. Nie wieder würde er Johannes charakteristisches Zischen hören, nie wieder dem Knacken der Bildröhre lauschen. Aber seine verworrenen Gedanken glitten wieder von seinem eigentlichen Problem ab.

Während die Dämmerung durch die halbgeschlossene Jalousie nach seinem kummerzerfurchten Gesicht schnappte, ertappte er sich dabei, wieder zu dem zeitungsgrauen Ungetüm, das wie ein Moloch auf seinem mit Manuskripten überladenen Schreibtisch thronte, zu starren. Er wußte nicht, was er davon halten sollte. Immerhin hatte sie es ihm geschickt. Sie. Er hatte ihren Namen vergessen. Sonnengelbe Haare, stechende graublaue Augen, in denen sich das Licht verwaschen brach, und eine tolle Figur. Nur ihre Stimme, ja ihre Stimme, war schriller als dieses lästige Handygeklingel gewesen, das einen Erfolgsautor wie ihn ständig heimsuchte und nicht arbeiten ließ. Aber toll hatte sie ausgesehen, zugegeben.

Vor dem Fenster tobte der herbstliche Wind durch die sonnengebräunten Linden und zerrte neckisch an den letzten Blättern. Hinter dem Fenster riß die aufbrausende Nervosität, die längst mit dem Unbehagen und dem Wissen, dem Monster auf seinem Schreibtisch hilflos ausgeliefert zu sein, verschmolzen war, an seinem zartbesaiteten Nervenkostüm, das schon erste Ermüdungserscheinungen zeigte und wie rostiger Lack von ihm abzublättern begonnen hatte. Seine Finger gruben sich tief in das mürbe Holz des Fensterrahmens. Dieses monotone Angestarrtwerden machte ihn wahnsinnig. Ihr Geschenk brannte ihm mit seinem einen Auge ein Loch in sein sensibles Schriftstellerherz. Das war die späte Rache dafür, daß er sie letzten Februar aus der gemeinsamen Wohnung geworfen hatte.
Sie hatte einen schweren Fehler begangen. Sie hatte ihm das ständige Geklapper seiner alten Sophie vorgeworfen. Sie hatte Sophie ein dürres Metallgerippe genannt. Sie hatte behauptet, Sophie wäre eine seelenlose Maschine, die ohnehin bald an Altersschwäche zerbrechen werde. Sie hatte ihn einen Idioten genannt, weil er Sophie liebevoll umsorgte, Sophie ölte und streichelte, weil er die Farbbänder sorgfältig wechselte und Sophie gut zuredete, wenn er das tat. Sie hatte ihm vorgeworfen, daß er sie nicht lieben würde. Aber das stimmte nicht, er vergötterte Sophie, er betete Sophie an.
Sophie war die einzige in seinem Leben. Ein Wesen ohne Schnörkel, das genau das tat, was er von ihm wollte. Dafür liebte er Sophie. Keine Programme, keine Bits, keine Bytes, nur guter, alter Stahl. Er war kein Technikgenie. Im Gegenteil. Er konnte nicht einmal sein Handy richtig bedienen. Es war die Frau gewesen, die es ihm immer eingeschaltet und die Akkus aufgeladen hatte. Seit sie weg war, benutzte er das Handy nicht mehr.

Gestern war er aus Wien zurückgekommen. Er hatte seinen neuesten Roman im Verlag persönlich abgegeben. Er vertraute niemandem. Ihm war die Stille in seiner spärlich eingerichteten Behausung sofort aufgefallen. Man hatte Sophie entführt. Sie hatte Sophie entführt. Er hatte auf eine Lösegeldforderung gewartet, aber sie hatte nicht angerufen.
Als schließlich seine vom Weinen verquollenen Augen wieder so weit hergestellt waren, daß er einigermaßen die düstere Leere seines Arbeitszimmers durchdringen konnte, hatte er dieses regenwolkengraue, ungefüge Ding erblickt. Es war von ihr. Kein Zweifel.

Hermann wandte sich vom Fenster ab und erwiderte den eiskalten Killerblick des plastikverhüllten Ungetüms. Ich werde es schaffen, du wirst kapitulieren. Mit zitternden Knien schlich er zu seinem heiligen Arbeitsplatz. Zögernd streckte er den rechten Zeigefinger aus und drückte die Power-Taste.
Das eine Auge des Monsters flammte giftgrün auf und blendete seine zarten Augen. Ein erleichtertes Seufzen entfuhr ihm, als die Windows-Startseite geladen wurde. Mit feuchten Händen ergriff er die Maus und führte sie zaghaft über das Mousepad.

Er hatte sie besiegt, er war Herrscher über das Plastikding geworden, hatte die ersten zweiundreißig Seiten seines neuen Werkes im Glücksrausch geschrieben und nun würde er dieser vermaledeiten Furie den Todesstoß versetzten. Er würde ihr zuerst seine neuesten literarischen Ergüsse aufzwingen und sie dann zum Verstummen bringen. Mit fliegenden Fingern gab er einen Befehl ein. Der blecherne Kampfschrei der CPU riß ihn aus seinem Siegestaumel.

ALLES LÖSCHEN? ABBRECHEN? WIEDERHOLEN?

Abbrechen, abbrechen. Er hämmerte wie ein Verrückter eine Reihe von Kommandos in die Tastatur.

ALLES LÖSCHEN? ABBRECHEN? WIEDERHOLEN?

Hermann schlug mit beiden Fäusten auf die Tastatur ein.

ALLES LÖSCHEN? ABBRECHEN? WIEDERHOLEN?
ALLES LÖSCHEN? ABBRECHEN? WIEDERHOLEN?
ALLES LÖSCHEN? ABBRECHEN? WIEDERHOLEN?
ALLES LÖSCHEN? ABBRECHEN? WIEDERHOLEN?
Er ergriff die gebundene, tausendzweihundertvierundzwanzig Seiten starke Jubiläumsausgabe seines ersten Romans und schlug damit auf die ihn spöttisch anstarrende Tastatur.

DIE FESTPLATTE WURDE SOEBEN FORMATIERT.

Irgend etwas zerbrach in Hermann. Er begann zu schreien.

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