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Das Land des traurigen Glücks

Es gab da einmal ein junges, liebes, herziges Zebra. Es hieß Egon. Warum hatte es den für seine Gattung eigentlich seltsamen Namen? Ich weiß es nicht.
Egon hatte ein Problem. Seit wann haben solche schönen Tiere schon Sorgen? Keine Ahnung.
Er galt früher immer als dynamisch und im Grunde erfüllte ihn damals pure Lebensfreude, auch trug er eine gelbe Haut mit schwarzen Punkten zur Schau.
Richtig gelesen. Unser Freund war nicht helldunkel gestreift, wie sonst alle seine Artgenossen, sondern sah am ganzen Körper wie die Schärpe eines Blinden aus. Egon konnte aber sehr gut sehen. Das glaubte ihm aber niemand. So bot ihm schon öfters jemand seine Hilfe an, wenn das Tier auf dem Zebrastreifen die Straße überqueren wollte. Warum hatte er diese eigenartige Verzierung? Ich weiß es nicht. Aber eigentlich ist mir das egal.
Aber Egon, seines Zeichens jetzt ein unglückliches Zebra, fand das nicht fair. Warum wurde er so streng bestraft?
Warum traf es nicht die violett-grün-gepunktete Kuh vom Nachbarn, oder die von roten, unappetitlichen Pickeln übersäte, gelbe Ameise unter seinem Huf? Genaugenommen waren auch diese Tiere für ihre Art ein wenig ungewöhnlich, aber sie litten nicht so sehr darunter, wie Egon, denn die Kuh war blind und konnte deshalb weder sich noch ihre Artgenossen sehen und die Ameise war gerade von Egon zerquetscht worden, so daß sie auch keine Sorgen mehr hatte. Zumindest nicht in dieser Welt.
Aber Egon war noch immer nicht glücklich.
Man sollte es kaum glauben. Er sollte nicht das einzige traurige Wesen in dieser Ecke des Universums sein. Denn die kleine, gescheite und natürlich runde Kugel war ebenso depressiv veranlagt. Warum hatte auch sie dieses Leiden? Ganz einfach. Weil sie rund und nicht eckig war und das schon so lange, wie es sie gab. Die kleine, gescheite Kugel fand das nicht fair. Warum war ihr so ein grausames Schicksal beschieden? Sie wollte viel lieber kantig sein. Überall anecken wollte sie und nicht feig davonrollen, wenn man sie nur anstupste. Niemand nahm sie ernst. Keiner akzeptierte, daß sie einen eigenen festen Willen besaß, denn man konnte ja mit ihr machen, was man wollte. Sich zu wehren, erwies sich für sie als nicht möglich. Ach, wäre sie doch ein Quader, eine Pyramide, ein Zylinder oder ein Würfel. Aber nein, sie mußte ausgerechnet eine Kugel sein. Sie sinnierte, dachte nach und grübelte vor sich hin, aber es kam ihr keine befriedigende Lösung. Was sollte sie machen, um endlich einmal für voll genommen zu werden, um richtige Ecken und Kanten zu bekommen? Sie wußte es nicht und ich weiß es auch nicht.
Um das Dutzend nicht voll zu machen, sondern um einen Dritten im möglichen Bunde zu finden, gab es da noch ein kleines, liebliches, sanftmütiges, aber dafür um so unsagbar trauriges Märchen. Viel gibt es über dieses Gedankengebilde nicht zu erzählen. Denn es handelte von einem netten Wanderburschen, der lustlos durch die Gegend tingelte und dabei allerlei seltsame Abenteuer zu bestehen hatte und zu guter letzt zufällig eine Prinzessin aus den Klauen eines Drachen befreien durfte und sie dann als Ehefrau nehmen mußte, obwohl sie ihm gar nicht gefiel. Aber sie bekam eine hohe Mitgift mit.
Nur eine 08/15 Story. Mehr nicht.
So wandelten alle Drei jeder für sich traurig und unglücklich dahin, das gelbe, schwarzgepunktete Zebra namens Egon, die kleine, gescheite und natürlich runde Kugel und das traurige Märchen. Jeder war in Gedanken versunken. Keiner paßte recht gut auf, wo er hintrat, bzw. hinrollte und schwebte. Deshalb geschah, was nicht zu vermeiden war. Das nicht blinde Zebra, der rollende geometrische Körper und das kleine, liebliche Märchen trafen aufeinander. Mit voller Wucht knallten sie zusammen.
„Entschuldigung“, sagte Egon.
„Verzeihung“, bat Ilse, so hieß das rundliche Gebilde.
„Paßt doch auf!“ fluchte das Märchen.
Der erste Schritt war getan. Sie hatten sich kennengelernt, sahen sich das gegenseitige Unglück natürlich sofort an und waren sich deshalb auf Anhieb sympathisch.
Einer nach dem anderen schilderte sein Problem, denn wenn alle Drei einfach munter drauf los geredet hätten, wäre ja nichts zu verstehen gewesen, und nachdem das Märchen die letzten Ausführungen von sich gegeben hatte, berieten sie, was zu tun die Stunde gebot.
„Wir könnten Selbstmord begehen“, schlug Egon vor.
„Zu einfach und für meinen Geschmack ein wenig zu endgültig“, verwarf Ilse den Gedanken.
„Den Kopf in den Sand stecken, wäre auch eine Möglichkeit, versuchte sie es noch einmal.
„Ich hasse kleine Körnchen in den Augen“, lautete die kurz angebundene Antwort des gelben Zebras mit den schwarzen Punkten. „Habt ihr schon einmal etwas von dem Land des traurigen Glücks gehört?“ fragte das Märchen mit einem seltsamen Unterton in der Stimme, der eigentlich nur als verschwörerisch definiert werden konnte.
„Es handelt sich dabei um einen eigenständigen Staat, der sich gar weit von der Stelle hier entfernt befindet und der vom Glück regiert wird. Aber dieses Paradies ist keines, wie man vielleicht glauben möchte. Da das Glück Gesetze erfinden, sowie durchführen und wieder abschaffen muß, weil sie nichts taugen, und das aber eine überaus verantwortungsvolle und schwierige Aufgabe ist, zeigt es sich gar nicht glücklich mit ihr, sondern schwelgt in Trauer. Es heißt, wer das Glück wieder glücklich macht und es deswegen dazu bringt nie mehr unglücklich zu sein, dem werden alle Sorgen weggenommen. Das wäre doch was für uns? Probieren wir es. Was haben wir schon zu verlieren? Einer für alle, alle für Einen!“
Ein besserer, weniger abgedroschener Spruch fiel ihm im Moment wohl nicht ein.
„Einverstanden“ stimmten die anderen Zwei sofort zu.
So einig waren sie sich noch nie zuvor gewesen. Kein Kunststück. Sie kannten sich erst seit einer halben Stunde.
Weil Ihnen im Moment nichts besseres einfiel, traten, rollten und schwebten sie fürs Erste einmal einfach so dahin. Das war aber gar nicht so schlecht. Denn nur so konnten sie vorankommen und sie taten es auch. Deshalb erreichten sie nach 13 Jahren, 7 Monaten, 23 Tagen, 84 Stunden, 17 Minuten und 12 Sekunden das ziemlich weit von ihrem Ausgangspunkt entfernte Land des traurigen Glücks. Sie sahen sich natürlich sofort um, was sich hier so abspielte und das, was sie erblickten, gefiel ihnen sogar ein wenig. Jeder Einheimische schien glücklich zu sein. Lächelnd, fröhlich wandelnd und einfach ungetrübten Frohsinn verschleudernd, ging jeder seinen gestellten Aufgaben nach. Man könnte dieses Gebiet sogar für das wahre Paradies halten, wenn da nicht der deprimierte Herrscher wäre, nämlich das unglückliche Glück. Aber dieses Problem wollten unsere drei Freunde ja lösen. Dazu waren sie schließlich da.
Sie suchten das Schloß, in dem der Regent sich aufhalten sollte und fanden es auch. Es war unscheinbar und von der umliegenden Landschaft fast nicht auszumachen. Das Glück wollte nicht auffallen. Seiner Meinung nach hatte es das gar nicht verdient. Außerdem, wenn man den Regierungssitz nicht fand, konnte man ihm keine Probleme aufhalsen. Doch ganz ungeschoren kam es doch nicht davon. Die Bevölkerung war nicht ganz so dumm, wie das Glück gerne geglaubt hätte. So hatte es immer wieder genug und für seinen Geschmack zuviel zu tun.
Aber das sollte sich jetzt ändern. Denn die Kugel kugelte sich in den Thronsaal. Egon trat die Tür ein, richtete aber keinen Schaden an, weil sie schon offen stand und das Märchen folgte dem Duo, weil es im Moment nichts besseres zu tun hatte.
„Was wollt ihr denn da?“ fragte das Glück lakonisch, deprimiert und unsagbar traurig, als es der Eindringlinge angesichtig wurde. Es empfing wohl nicht sehr gerne Besuch. Aber ich glaube, das habe ich schon einmal erwähnt.
„Wir wollen dir helfen!“ versuchte Ilse gute Laune zu verbreiten.
„Deine Sorgen werden sich im Nu in Luft auflösen!“ meinte Egon enthusiastisch.
Das Märchen schwieg, weil einer mußte ja schließlich nachdenken und eine Lösung finden.
„Das habt ihr euch so leicht vorgestellt. Wer hat euch gesagt, daß ich mir von euch helfen lassen will. Wie wollt ihr es schaffen, mich von meinen Sorgen zu befreien.“
„Ganz einfach“, meinte jetzt das Märchen, „Danke ab! laß jemand anderen ans Ruder! Widme dich neuen, einfacheren Aufgaben! Laß den ganzen Mist hier einfach liegen und stehen und mach was du willst! Flippe aus, mach eine Weltallreise, tauche runter nach Atlantis und nie wieder auf oder tu irgend etwas Verrücktes, aber lege deine Ämter hier nieder!“
„Das sagst du so leicht“, schluchzte das Glück gepeinigt auf, „Wer ist schon so blöd und will meine Aufgaben hier übernehmen?“
„Ich, zum Beispiel!“ mischte sich Egon, das gepunktete Zebra ein.
„Meine Hilfe wäre ihm gewiß“, versuchte Ilse sich ein Stück vom Kuchen abzuschneiden.“
„Das wäre wie im Märchen“, meinte das Märchen.
Angesichts dieses vernünftig klingenden Lösungsvorschlages wurde es dem Glück ganz warm ums Herz. Diese Gäste erwiesen sich als wirklich selbstlos. Sie wollten die schwere Bürde auf sich nehmen, die es schon zu lange zu tragen gezwungen war.
Das Glück gluckste vor Glück und sagte: „So sei es. Macht was ihr wollt! Regiert, wie es euch Spaß macht. Meinen Segen sollt ihr haben. Ich haue mich über die Häuser. Lebt wohl! Adieu!“
So sprach es und weg war es. Einfach so.
„Jetzt stehen wir schön da“, meinte das Märchen, „läßt uns hier einfach so sitzen.“
„Richtig, du hast recht. Aber das ist auch gut so“, antwortete Egon, „So leicht kommt man sonst nicht mehr zu einem Königreich. Wenn du mich fragst, ich bin glücklich. Ein richtiger Herrscher zu sein, von dem habe ich schon immer geträumt.“
„Mir geht es noch viel besser“, frohlockte die Kugel. Sie war, als das Glück verschwand vor Schreck in zwei Teile zerbrochen und konnte sich weder vor noch zurück bewegen. Endlich hatte es einen unverrückbaren, festen, nicht mehr so leicht zu verändernden Standpunkt einnehmen können.
Auch das Märchen war durchaus zufrieden. Endlich hatte es einen anderen Inhalt. Die Abenteuer, die es soeben erlebt hatte, waren viel schöner, als sein bisheriger Inhalt, eben märchenhaft. Der Wanderbursche konnte von ihm aus mit seiner häßlichen Prinzessin versauern und von der sich rächenden Drachenzunft zum Frühstück verspeist werden.
Was geschah eigentlich mit dem jetzt glücklichen Glück. Es befindet sich einmal hier, einmal dort. Manchmal hält es sich im Himalaja auf und trinkt mit Yeti eine gemütliche Tasse heißen Tee mit Milch, ein anderes Mal wieder im Bermudadreieck, dann wieder in einer kleinen Hütte am Ende des Universums, oder in den Slums von Los Angeles - wie es ihm eben gerade einfällt. Aber an irgendwelche Regeln läßt es sich nie mehr binden. Es taucht einfach dort auf, wo es ihm Spaß macht und verschwindet genauso schnell wieder und ward nicht mehr gesehen.
Und wenn das gelbe Zebra mit den schwarzen Punkten, namens Egon, sowie die schizophrenen Halbkugeln mit den Namen Ilse und Hilde und das Märchen vom Land des traurigen Glücks noch nicht gestorben sind, dann hoffen sie noch heute, daß sie doch wieder einmal Glück hätten und den ganzen Krempel hier hinschmeißen könnten und wieder das unbeschwerte, freie verantwortungsfreie Leben von früher führen dürften.

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